Filmprogramm
Donnerstag, 2.3.2023 ERÖFFNUNGSABEND
Alice Schwarzer
von Sabine Derflinger
Deutschland / Österreich, 2022, 102 Min., Dokumentarfilm,
DF
Hat die feministische Bewegung der 60er, 70er Jahre alle Probleme der Frauenemanzipation gelöst? Mitnichten, sagt Alice Schwarzer, Wegbereiterin weiblicher Emanzipation, Gründerin der militant feministischen Zeitschrift „Emma“. Sie legt den Finger in die Wunden bestehender Verletzungen von Frauenrechten: nicht zuletzt des weiterhin kriminalisierten Schwangerschaftsabbruchs oder des grassierenden gewaltsamen Frauenhandels in der Prostitution.
Die schlagfertige Alice polarisiert seit jeher. Aufsehen erregend
ihre Kampagne zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs »Wir
haben abgetrieben« im Magazin der „stern“. Bewusst,
wie bedeutsam der Kampf der vorigen ersten Frauenbewegung für
heutige Frauenrechtsthemen ist, gründet sie ein historisches
Archiv dazu. Einblicke in die Entwicklung der Frauenbewegung,
aber auch in das Leben der Alice Schwarzer, ihr Aufwachsen in
einem unkonventionellen Haushalt, in dem die Geschlechterrollen
vertauscht erschienen, verweben sich zu einem eindrücklichen
Bild einer Epoche und einer faszinierenden, neugierigen, streitbaren
Persönlichkeit frei von Berührungsängsten.
Großer Diagonale-Preis Graz
18 Uhr l Kino Museum
ERÖFFNUNGSFILM
Do You Remember Me?
von Desirée Pomper / Helena Müller
Äthiopien
/ Schweiz, 2022, 83 Min., Dokumentarfilm, OmdU
Die einnehmende junge Sara, deren astreiner Schweizer Akzent nicht ihre äthiopische Herkunft vermuten lässt, ist neugierig, aufgeschlossen und überrascht mit spontanen Freudenausbrüchen. Nichts ließe erahnen, dass sie mit einem tiefen Trauma zu kämpfen hat und mit großen Entscheidungen ringt. Sara wurde im Alter von 7 Jahren in Äthiopien beschnitten, die Großmutter hatte so entschieden.
Inzwischen ist Female Genital Mutilation dort offiziell verboten.
Jetzt, als erwachsene Frau, will Sara das Übel wieder gut
machen und entscheidet sich für eine Rekonstruktions-OP.
Doch: fühlt sie sich jetzt eine vollkommene Frau? Körperlich
ja, aber psychisch? Nein, sie fühlt sich weiterhin unvollkommen,
mit einer Unmenge an unbearbeiteter Wut und unendlichem Misstrauen
gegen ihre nächste Familie – Mutter und Großmutter.
Sara geht in Therapien, erkundet ihr Trauma und erkennt: sie muss
das Tabu brechen und jene konfrontieren, die diesen Eingriff in
ihr intimstes Erleben verantworten. Sie bricht auf nach Äthiopien,
zur Großmutter und ihrer Beschneiderin. Sie ahnt nicht,
wie sehr diese Reise ihr Leben ändern und sie zur leidenschaftlichen
Aktivistin gegen FGM werden lässt...
3 Internationale Filmpreise
20:30 Uhr l Kino Museum
Protagonistin Sara Aduse anwesend
Freitag 3.3. 2023
Be My Voice
von Nahid Persson
USA / Iran / Schweden / UK / Norwegen, 2021,
83 Min., Dokumentarfilm, OmeU
Ihre wildgelockte Haarpracht mit der frischen Blume – eine symbolträchtige Kampfansage gegen den gewaltsamen Hidschab-Zwang in ihrem Land: Iran. Masih Alinejad, Journalistin und Bloggerin, erreicht vom US-Exil aus jeden Abend Hunderttausende FollowerInnen im Iran. Die Aktivistin hat schon früher Aufsehen erregt mit Reportagen über Korruption, über Frauenrechtsverletzungen im Iran; sie muss 2009 emigrieren. Im Exil startet sie zwei Social-Media-Kampagnen gegen den Hidschab-Zwang, die im Iran virulent werden: Frauen posten öffentliche Selfies ohne den obligatorischen Schleier. Sie werden zur Riesen-Bewegung zivilen Ungehorsams im Iran und Masih zur Stimme Millionen iranischer Frauen.
Ihr Aktivismus bringt sie ins Fadenkreuz der iranischen Geheimdienste – ein Entführungsversuch in New York und Mordanschläge folgen. Heute lebt sie mit Personenschutz an geheimen Orten. Perssons aufwühlender Film begleitet Masih durch drastische Höhen und Tiefen einer empathischen Aktivstin: Tiefen über Nachrichten verzweifelter Menschen im Iran; ekstatische Freude über Kampagnenerfolge oder allerkleinste alltägliche Freuden – am Leben zu sein.
2 Internationale Filmpreise
In Kooperation mit
18 Uhr l Kino Museum
Expertin anwesend
Vivas
von Angélica Cruz Aguilar
Mexiko / Deutschland, 2022, 83 Min., Dokumentarfilm, OmdU
Donnernde Trommelsalven fegen durch die Straßen von Mexiko-Stadt. „Vivas nos queremos – Wir wollen leben!“ – so der Aufschrei der vor den Demonstrantinnenmassen tanzenden Trommlerinnen: mexikanische militante Aktivistinnen, viele von ihnen junge Frauen, die Feminizide in ihrem Land nicht länger hinnehmen wollen. Zu groß ist die Wut über die jahrzehntelange Straflosigkeit und gegen den untätigen Staat! In Mexiko werden jährlich über 4.000 Frauen aus geschlechtsspezifischen Motiven ermordet und Täter kaum verurteilt.
Im Jahr 2015 wurde die zwölfjährige Fátima auf dem Heimweg von der Schule von drei Nachbarn vergewaltigt und anschließend ermordet. Renata war 2020 dreizehn Jahre alt – der Ex-Partner ihrer Mutter tötete sie zu Hause. Nach den Morden an ihren Töchtern treffen sich Lorena und Karen mit feministischen Kollektiven und anderen Müttern, die den gleichen Schmerz wie sie erlitten haben. Seitdem führen sie einen erbitterten und kräftezehrenden Kampf, in dem sie inzwischen Unterstützung von einer neuen kämpferischen feministischen Welle erhalten, die auch andere Teile Mexikos und Lateinamerikas überrollt.
In Kooperation mit dem Zentrum für Medienkompetenz der Universität Tübingen
20:30 Uhr l Kino Museum
Regisseurin anwesend
Samstag 4.3.2023
Call Jane
von Phyllis Nagy
USA, 2022, 121 Min., Spielfilm, OmdU
Chicago Ende der 60er-Jahre – Joy, Hausfrau und Mutter eines Teenagers, erwartet ihr zweites Kind. Die späte Schwangerschaft bedroht jedoch ihr Leben und Abbrüche sind verboten. Nicht einmal ihr Mann, ein erfolgreicher Anwalt, kann die exklusive Männerrunde von „Experten“ für eine lebensrettende medizinische Ausnahme überzeugen. Da stößt Joy in ihrer verzweifelten Suche nach einem Ausweg auf einen Sticker an einem Laternenmast, der rät: „Call Jane“.
So stolpert sie in ein subversives Frauennetzwerk, das eine gangbare, allerdings illegale Lösung anbietet. Angezogen von deren leidenschaftlichem Engagement und menschlicher Wärme, fühlt sich Joy zusehends in die gefährlichen und unbedingt geheim zu haltenden Aktionen verstrickt. Sie möchte nicht nur anderen Frauen in Not helfen, sondern auch die konkreten Hilfsangebote für ärmere Frauen verbessern und vielleicht sogar eine grundsätzliche juristische Lösung erkämpfen. Die herrlich ironische Tragikomödie mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver in den Hauptrollen ist angelehnt an wahre Begebenheiten eines erfolgreichen – doch seit 2022 wieder in Frage stehenden – Kampfes für reproduktive Rechte in den USA.
Gewinner Beijing und Nominierung Goldener Bär Berlinale
In Kooperation mit
18 Uhr l d.a.i.
Expertin Dr. Gabriele Halder anwesend
And Still I Sing
von Fazila Amiri
Afghanistan / Kanada, 2022, 90 Min., Dokumentarfilm,
OmeU
Die eng befreundeten Sängerinnen Zahra und Sadiqa sind
Teil einer dynamischen jungen Generation in Afghanistan und
geben alles, um als erste Frau die Talentshow »Afghan
Star« zu gewinnen. Neben Popmusikformaten singen sie in
ihrer farbenfrohen Tracht auch traditionelle Lieder ihrer Region.
Denn sie stammen aus der Ethnie der Hasara, einer Minderheit,
die seit langem der Unterdrückung durch die paschtunische
Elite unterworfen ist. Begleitet und unterstützt werden
sie von Aryana Sayeed, Sängerin, Komponistin, Moderatorin
und durchaus auch Popstar, die wegen ihres beharrlichen Engagements
für Frauenrechte in Afghanistan immer wieder Kontroversen
verursacht und sie zur Hassfigur werden lässt: 2013 erlassen
zwölf Religionsgelehrte eine Fatwa, die dazu auffordert,
die Künstlerin zu töten, und bis heute gültig
ist.
Schon während der US-Friedensgespräche mit den Taliban
2021 ist die einsickernde Gefahr durch islamistische Kräfte
in allen Sphären der Gesellschaft zu spüren. Musikalische
Veranstaltungen können nur unter Militär-Schutz stattfinden.
Die drei Sängerinnen lassen sich davon nicht abbringen, gemeinsam
ihre Stimme auch gegenüber einer patriarchalen Gesellschaft
zu erheben, die Frauen das Singen verbietet. Jedoch wird die Zäsur
der erneuten Machtergreifung der Taliban ihr Leben radikal verändern.
Ein internationaler Filmpreis
20:30 Uhr l d.a.i.
Protagonistin Sadiqa Madadgar anwesend
Sonntag 5.3. 2023
The Deal
von Chiara Sambuchi
Nigeria / Italien / Deutschland, 2022, 90
Min., Dokumentarfilm, OmeU
Princess ist Überlebende eines Prostitutionsrings, der Frauen aus Nigeria über Italien nach Deutschland schleust und sie dort jahrelang gewaltsam ausbeutet – besonders perfide mit Hilfe des „Juju“, einer schwarze-Magie-Praktik nigerianischer Bruderschaften. Diese bindet die Frauen an ihre AusbeuterInnen, oft weibliche Zuhälterinnen, die „Madames“. Die engagierte italienische Staatsanwältin Lina und der beharrliche Duisburger Kriminalkommissar Nierenz decken über abgehörte Gespräche und Zeugenaussagen ein kriminelles Netzwerk auf. Dieses ist auf Menschenhandel, Zwangsprostitution und Drogenschmuggel spezialisiert, seine Milliarden-Gewinne werden durch Immobiliengeschäfte gewaschen.
Princess ihrerseits hat viele junge Frauen wie Victory von italienischen Straßen gerettet aus den Fängen der Menschenhändler. Sie will jedoch das Übel auch an der Wurzel beheben: mit ihrer NGO beginnt sie, in Nigeria junge Frauen über die Gefahren dieser „Arbeitsvermittlung nach Europa“ aufzuklären und ihnen in Nigeria eine eigene Existenz zu ermöglichen. Das bringt sie ins Visier der organisierten Kriminalität... Erschütternd die Frage nach unserer Verantwortung, denn: ohne Nachfrage kein Angebot!
4 internationale Filmpreisnominierungen
18 Uhr l d.a.i.
Kriminaloberrat a.D. Helmut Sporer anwesend
Children Of The Mist
von Ha Le Diem
Vietnam, 2021, 90 Min., Dokumentarfilm, OmeU
Am Vorabend des Neuen Mondjahres macht sich die jugendliche Di zurecht für ein Straßenfest. Die Mutter rät ihr, daheim zu bleiben, es sei der gefährlichste Tag für ein Mädchen – sie könne als „Braut“ geraubt werden. Doch Di hört nicht auf sie, zu sehr mag sie Feste. Und dann passiert „es“. In der Ethnie der Hmong im kargen landwirtschaftlichen Norden Vietnams ist der „Brautraub“ alte Tradition. Diese Frühehen sind jedoch gesetzlich verboten, werden im Dorf resolut in Frage gestellt von Dis Lehrerinnen: sie wollen den Kindern das Beenden des Gymnasium ermöglichen. Dis Generation ist die erste, der dies offen steht. Dis Mutter wurde selbst geraubt, ist völlige Analphabetin und mit 34 Jahren schon Großmutter.
Regisseurin Diem folgt drei Jahre lang Dis Weg von der quirligen 13-Jährigen mit dem Traum, aus der Vorbestimmung ihrer Mutter und ihrer Gemeinde auzubrechen, nicht „wie ein Frosch im Brunnen“ gefangen zu sein – bis hin zum attraktiven, ungestümen, sensiblen Teenager, die oft nicht mehr die Grenzen erkennt, die sie dafür verteidigen muss. Aber auch die Eltern reagieren ambivalent – helfen sie ihr, und wird sie sich gegen die gewaltsame Nötigung durchsetzen können?
20 internationale Filmpreise, Oscar-Nominierung 2023
20:30 Uhr l d.a.i.